Geht man zu weit, wenn man "Good Kid, M.A.A.D City" als
kinematografischstes Album der Hip Hop Geschichte bezeichnet? Ich denke
nicht, denn Kendricks narrative Arbeiten über Moral, Schuld und
Unschuld, über die kriminellen Energien in Compton, in dem Gewalt,
bewaffnete Gangs und Drogen als kontinuierliche Bedrohungen des
Einzelnen und der Gemeinschaft wirken, ist beinah so filmisch, als wäre
sie mit einem technischen Apparat aufgenommen worden. Er nimmt für seine
Betrachtungen nur keine Kamera, sondern bedient sich gut ausgewählter
Worte. Und so wie die französischen Initiatoren der bekannten Nouvelle
Vague Ende der Fünfziger nicht mehr mit den Einheitsprodukten der
Hollywoodfabrik und den stromlinienförmigen inländischen Filmen
einverstanden waren, deshalb selbst anfingen mutige Filme zu drehen, so
ähnlich verhält es sich mit Kendrick Lamar und seinem erst zweiten
Album, das nicht nur simple Unterhaltungsbedürfnisse befriedigen möchte.
Nur weil der kalifornische Rapper und Member der Black Hippy Gruppe
Gangstarap-Motive verwendet, bedeutet das nicht, dass er sie ausbeutet.
Das Gerieren als grimmig dreinschauender Verhauer milchgesichtiger Bubis
ist nicht seine Sache. Seine Trials & Tribulations-Lyrik ist
differenziert und vielschichtig, birgt psychische Zustände und
formuliert vor allen Dingen immer einen kritischen Standpunkt. Die
Arbeit auf dem Regiestuhl beherrscht Kendrick einwandfrei, so zeugen
Binnenverweise, Polyperspektivität und lange wie kurze Skits von hoher
handwerklicher Geschicktheit, die die Songs zu einem Konzept
zusammenbringt. Diese Virtuosität macht ihn zum Jean-Luc Godard des Hip
Hops! Als Zuhörer schwimmt man wahrlich in Höhepunkten, wie etwa in der
wilden Hintersitz-Reimerei auf "Backstreet Freestyle" oder in dem
Romantik evozierenden Zeitlupen-Beat auf "Poetic Justice". In
inhaltlicher wie struktureller Hinsicht nimmt sich die 2011 erschienene
Erzählung "Ungud" von den Roots dagegen wie eine Gute-Nacht-Geschichte
aus, auch weil die Hauptfigur in dem mit A Short Film by Kendrick Lamar
untertitelten "Good Kid, M.A.A.D City" selbst das Wort hat und keine
von Dritten gesprochene fiktive Person mit einer fiktiven Biografie.
Kendrick Lamar - Good Kid, M.A.A.D City
2012
Label: Top Dawg / Aftermath
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen